Im Tal von Mumdidu, in der zerklüfteten Hochebene inmitten der Himmelssschuppen, lebten einst die Stämme der Weißen Frauden. Mumdidu war ein karges, unwirtliches Land, dessen kriegerische Bewohner ihr Dasein als Hirten und Jäger bestritten. Das Land wand sich wie eine altersschwache Schlange, von Osten nach Westen durch die Berge, wo seine Lebensader, der Fluss Fharr‘ Gudre, über sieben gigantische Treppenstufen in die unbekannten Lande floh.
An einem klirrend kalten Winternachmittag hat sich der Schnee so dicht über das zerstreute Dörfchen Njörhug gelegt, dass man vor weißer Farbe kaum die Umrisse der Hütten und Höfe sehen kann.
Das Erste, was man wahrnimmt, ist zunächst ein angestrengtes Keuchen; darauf die vermutlich dazugehörenden, gedämpften Schritte. Schließlich taucht hinter schneebeladenen Ästen ein großer hagerer Mann auf. Yrdokaan der Jäger hat mal wieder Pech gehabt, die Fährte verloren, das Wild aufgeschreckt, was auch immer. Sein Entschluss jetzt ein warmes Plätzchen aufzusuchen, ist nachvollziehbar.
Das nächste Kaminfeuer wird er wohl bei der alten Kräuterhexe finden. Außerdem ist da noch die hübsche junge Tochter der alten Vettel, die ihn immer so seltsam anschaut, die Gundel. Sie wird ihm bestimmt eine warme und stärkende Suppe machen.
„Ich grüße dich Yrdokaan“, sagt Gundel lächelnd, als sie dem kauzigen jungen Mann die Tür öffnet. Gundel ist fast ebenso groß wie Yrdokaan, die beiden schauen sich in die Augen, wer hält das wohl länger durch? Gundel schaut auf den Boden und bittet den Waldläufer einzutreten. Vielleicht hätte sie länger standgehalten, schließlich ist sie, wie ihre Mutter, eine Hexe.
Gundel und Yrdokaan treten aus dem Windfang in die beheizte Stube, er geht so nah hinter ihr, dass sie seinen heißen Atem auf dem Nacken spürt. Die Mutter schaut sich den Mann mit ihren eiskalten, blauen Augen an, er steht zu nahe bei ihrer Tochter.
„Du willst eine Suppe, mein junger Freund? Geh zum Schuppen und hacke Holz für zwei verstoßene Frauen.“
Der Jäger mit den drei Zöpfen, die ihm vom Kinn hängen, verlässt kommentarlos das Haus, und wenig später hört man in der Hütte von draußen das Holz splittern. Gut, dass Yrdokaan weiß, dass man einer Hexe nicht widerspricht.
Nach einer Stunde des Hackens, Zerkleinerns und Aufschichtens ist Yrdokaan so warm geworden, dass er Mantel und Rock abstreift, so dass Gundel, wenn sie ihn holen kommt, seinen nackten Oberkörper sehen kann.
Du bist ein bisschen mager,“ meint das Mädchen mit wohl gespielter Enttäuschung, lächelt ihn an, packt seinen Arm und zieht ihn ins Haus, wo ihn eine Schüssel voll mit dampfendem und duftendem Eintopf erwartet, den er unter dem kritischen Blick der Mutter und dem Grinsen der Tochter gierig bis zum letzten Tropfen auslöffelt.
„Ihr macht den besten Eintopf im Land der Warskogedir, Mutter Jarga. Ich danke Euch.“
„Ihr müsst uns nun verlassen Dreibart, Meister der Jagd. Doch schon bald werdet Ihr meine Tochter wiedersehen.“
Verdutzt packt Yrdokaan seine sieben Sachen, verabschiedet sich und macht sich auf den Heimweg, zum Haus seiner Familie in Njoerhug.
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„Du liebst ihn, nicht wahr?“
„Tue ich das? Ich weiß, dass du ihn für einen Versager hältst.“
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Du wirst mich bald verlassen und er wird mit Dir
gehen.“
„Mutter, was soll das? Sag mir was die Zukunft bringt oder lasse es. Sprich mit klaren Worten, du bist nicht die Orakelpriesterin der Vaasen.“
Jargas Züge verfinstern sich, das Wissen lastet schwer auf ihrem Herzen. Traurig blickt sie ihre Tochter an. Sie schüttelt den Kopf, ihre Tränen kann sie nicht mehr verbergen. Sie hat in Yrdokaans Gesicht den Tod gesehen.
Ich werde schweigen, Gundel hat großes Unheil zu überstehen. Ich würde ihr kein Gefallen tun, wenn ich ihr die Zukunft offenbarte.
„Geh morgen ins Dorf, Tochter. Bereite Dich auf eine große Reise vor. Mehr werde ich Dir nicht sagen. Ich liebe Dich.“