Mythos, zweiter Teil

II. Von der Entstehung der Tage und Nächte

Lange Zeit lebten die Goeddar friedlich zusammen, gebaren Kinder und Kindeskinder und teilten sich die Herrschaft über die Welt. Doch wußten alle, dass dieses Leben nur durch den Verrat ihrer Königin Atomis möglich geworden war, die sich zwar als Erste unter Gleichen bezeichnete, aber mit eiskalter Berechnung diejenigen bestrafte, von denen sie glaubte, dass sie nach ihrem Thron trachteten.

Eines Tages wurde Rakk geboren, eines der vielen Kinder Gholeds, des Herrn der Wölfe und Janka, der Schwester der Bäume. Er war kräftiger und größer als die anderen Kinder und geschickt im Umgang mit dem Speer, einer Waffe, die er selbst gemacht hatte. Da seine Eltern um die Eifersucht der Atomis wußten, hielten sie seine Geburt jedoch geheim; er durfte die Wälder, die Gholeds und Jankas Reich waren, nie verlassen.

Sein Bruder Reanor liebte Rakk über alles und erzählte oft mit stolz geschwellter Brust die Geschichten, die er mit seinem Bruder erlebt hatte. So kam es, daß auch einer der Spione der Atomis, der schlaue Gott Kobolot, Sohn der Kirt, der obersten Bibliothekarin und des Walertan Utze, Meister der Rätsel, eine dieser Geschichten vernahm. Doch anstatt mit den Neuigkeiten zu seiner Herrin zu eilen, machte er sich auf die Suche nach Rakk dem Sperrträger.

Schließlich fand er den tüchtigen Krieger, setzte sich und sprach zu ihm: „Rakk, ausgezeichneter Kämpfer und geschicktester Wolfsreiter unter den Goeddar, ich bringe dunkle Kunde. Schon bald wird die Herrin Atomis von Deiner Existenz erfahren und Deinem Leben ein Ende bereiten wollen. Darum rate ich Dir: Baue ein Schiff und segle mit deinen treuesten Dienern nach dem Norden ohne Abschied zu nehmen; nach langer Fahrt wirst Du auf eine Insel stoßen, die Dir vielleicht kalt und unbehaglich erscheinen wird, doch sollst Du dort eine Festung errichten. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem Atomis auch dieses Versteckes gewahr wird, doch dann werde ich bei ihr sein und gemeinsam werden wir Atomis vernichten.“

Und so kam es, dass Kobolot seiner Herrin eines Tages berichtete, dass er einen Gott ungewöhnlicher Macht aufgespürt hatte und beide fuhren gen Norden, denn die Göttin konnte es nicht ertragen, daß einer Ihr ebenbürtig sein sollte.

Rakk, der das Schiff kommen sah, befahl seinen Dienern Position in der Festung zu beziehen, er selbst stellte sich auf den höchsten Turm, mit dem mächtigsten und längsten  Speer bewaffnet, den er in den Jahren der Einsamkeit erschaffen hatte.

Es entbrannte ein gewaltiger Kampf, in dem alle Diener beider Seiten auf greußliche Art und Weise den Tod fanden, bis nur noch Atomis, Rakk und Kobolot übrig waren. Atomis und Rakk rangen miteinander, denn keiner von beiden vermochte es, den anderen zu überwinden; Kobolot aber hielt sich versteckt, da er seine Kräfte sparen wollte und sich noch nicht im Klaren darüber war, wer den Kampf gewinnen sollte. Als nach etlichen Stunden Atomis und Rakk geschwächt waren und immer noch keine Entscheidung fallen wollte, griff Kobolot ein: Er begab sich geschwind in den Rücken der Atomis und versetzte ihr einen Dolchstoß, den die Atomis allerdings nur als Nadelstich wahrnahm. Doch drehte sie sich um, fassungslos, dass ihr eigener Schützling es gewagt hatte, sie zu hintergehen. In diesem Moment jedoch stieß Rakk seinen Speer mit solcher Wucht durch ihren Körper und in die Erde, daß seine Spitze auf der anderen Seite des Planeten wieder herauskam. Von so sagenhafter Macht war der Speer in den Leib der Atomis gefahren, daß die Göttin selbst bis in die Mitte Gables gerissen wurde*.

Rakk war von diesem Kampf so erschöpft, daß er sich nie wieder völlig davon erholte und einen Großtteil seiner Macht verlor. Kobolot jedoch segelte zurück nach Fhaga und wurde zum neuen König der Goeddar gekrönt.
Der Speer, der seit dieser Zeit im Körper Gables steckt, wird heute Erdachse genannt, da die Welt sich um ihn zu drehen begann und so Tag und Nacht entstanden sind. Gerüchten zu Folge wird die Sperrspitze, die im Süden des Wasserplaneten herausragt, von einem gigantischen Mahlstrom umspielt.

*(Niemand ist allerdings der Meinung, daß ihr Körper dabei ganz blieb; vielmehr rührt es auch von dieser Begebenheit her, daß die kleinsten möglichen Teile Atome genannt werden.)

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